Depression ist eine Krankheit, die sich nur schwer in Worte fassen lässt. Nicht nur für Angehörige und Freunde ist es schwierig zu verstehen, was in einem vorgeht, sondern auch für einen selbst.
Daher versuche ich anhand gemalter Bilder und metaphorischer Geschichten meine Gefühle und Gedanken auszudrücken und zu beschreiben. Mein Ziel dabei ist es, aufzuklären und aus einem bisher immer noch verschwiegenem Thema, ein normales und vor allem menschliches zu machen.
Ich suche nach Anerkennung
doch streite sie ab, sobald ich sie bekomme.
Ich möchte gesehen werden
doch gebe alles dafür, mich so gut es geht hinter meiner Kleidung zu verstecken.
Ich möchte akzeptiert werden
doch akzeptiere mich selbst nicht.
Ich möchte glücklich sein
doch fühle mich falsch, sobald ich lache.
Ich suche Liebe und Geborgenheit
doch lehne sie ab, sobald ich sie bekomme.
Ich möchte die Dinge ändern
doch traue mich nicht es durchzuziehen.
Ich möchte meine Freunde nicht verlieren
doch schaffe es nicht mich bei ihnen zu melden.
Ich möchte so Vieles
doch bin energielos und müde.
Ich möchte akzeptieren können, dass es Symptome meiner Erkrankung sind
doch ich gebe mir die Schuld für all die Dinge.
Stell dir vor: seit Jahren geht es dir schlecht. Die niedergestimmten Tage nehmen still & heimlich immer mehr deiner eigentlich
positiven Tage ein. Du selbst kannst es dir nicht erklären, woher es kommt. Du fängst an, Fehler bei dir zu suchen. Immer mehr Fehler fallen dir auf und du verurteilst dich selbst dafür, dass es
dir so schlecht geht - denn du besitzt alles, was ein Mensch braucht, um glücklich zu sein. Du fängst an, dir einzureden, dass alles gut ist, du übertreibst und es keinerlei Grund für deine
Niedergestimmtheit gibt.
An diesem Punkt findest du zufällig eine Maske in deinem Schrank; du ziehst sie auf und bemerkst, wie sie nicht nur dir, sondern auch deinen Mitmenschen gefällt. Manche dieser Menschen sind sogar neidisch darauf, wie lustig und glücklich sie aussieht. Sie steckt die anderen mit ihrem Lachen an und gibt sowohl ihnen als auch dir ein positives Gefühl. Du entscheidest dich dafür, die Maske zu behalten, denn mit ihr verstummt die unerklärliche Niedergestimmtheit.
Im Laufe der Zeit perfektionierst du deine Maske, indem du sie schminkst und rauszuputzen, um zu gefallen und positiv aufzufallen.
Die Maske ist ab nun nicht mehr “nur eine Maske” die du täglich trägst - nein - ab heute ist sie deine Identität!
Nach mehreren Jahren, in denen du mit dieser Maske hingefallen & aufgestanden; dich verschminkt & überschminkt hast; sie zerbrochen und du sie wieder zusammengeklebt hast, hält auch der beste Kleber deine Maske und somit deine Identität nicht mehr zusammen.
Von Tag zu Tag siehst du im Spiegel, wie sich immer mehr Stückchen von der Maske lösen, oder gar verschwinden. Du wendest all deine Kraft, Energie und Zeit an, um die Teile zusammenzuhalten. Du findest Strategien, die Maske so zu präparieren, dass es nach Außen hin nicht auffällt, wie sie auseinanderfällt.
Eine der leichtesten Strategien, die du wählst, ist der Rückzug. Um Kräfte zu sparen & keine Zeit für das Überschminken der zerbrochenenen Teile aufwenden zu müssen, ziehst du dich zurück, sodass kein Mensch, die für dich unperfekt-scheinende Maske sehen muss. Denn ohne die Maske fühlst du dich falsch, bist unzufrieden mit dir und vor allem merkst du, wie die schlechten & niedergestimmten Tage wieder ans Licht kommen, welche du vor der Entdeckung bzw. Abends, nach Ablegen deiner Maske hattest. Du hast es die letzten Jahre mithilfe der Maske gegenüber den Anderen so gut verstecken können und fühlst dich aufgrund der immer weiter zerbrechenden Maske, wie eine Versagerin. Du fühlst diese Art Abhängigkeit und bist umso wütender auf dich selbst, dass du sie nicht gut genug gepflegt hast. Da du dir aber nach vielen gescheiterten Versuchen, sie zu reparieren, eingestehen musst, dass sie nie mehr funktionstüchtig sein wird, gehst du sofort auf die Suche nach einer neuen, vielleicht noch besser passenden Maske für dich. Du probierst viele verschiedene Masken auf, doch du merkst, dass dir keine so richtig gut passt und gefällt.
Und da stehst du nun - das erste Mal nach Jahren, ganz ohne eine Maske.
Du fühlst dich nackt & ekelig; du möchtest garnicht mehr raus, bist antriebslos und verlierst all deine Interessen. Du schämst dich dafür, wie du bist. Mit Blick in den Spiegel, siehst du auf einmal ein Gesicht, welches dir so fremd geworden ist - du erkennst dich ohne die Maske nicht mehr.
Stück für Stück merkst du, dass dir deine Maske nur Schutz gegeben hat. Sie hat dich vor deinen Sorgen, Ängsten, Problemen und vor allem deinen Depressionen geschützt.
Dadurch, dass diese Art Schutzschild mit der Zeit spröde geworden ist und du es aufgrund des vielen schweren angelagerten Rostes nicht mehr halten kannst, stehst du deinen Depressionen nun ungeschützt gegenüber. Du siehst, wie sie “Gewitterwolken-ähnlich” näher kommt. Du versuchst, so schnell wie möglich wegzurennen, bevor dich das Unwetter einholt. Auf deinem Weg begegnest du vielen Menschen. Du merkst, dass sie schneller sind als du und es auf Umwegen noch vor Beginn des Regens in ihre Häuser schaffen. Sie sind somit im Trockenem und sehen dir aus ihren Fenstern zu, wie dich das Unwetter einholt. Du bist dir sicher, dass es dich mit deiner Maske nicht so dolle erwischt hätte und die anderen es somit nicht gesehen hätten - doch deine Maske war bereits im Müll verschwunden.
Als du nach Hause kommst, fällt deinen engsten Mitmenschen auf, dass deine Kleidung ganz nass ist und du daher sehr bedrückt bist. Es kommen die ersten Fragen, was passiert sei und warum du so niedergeschlagen bist. Da du dir nicht erklären kannst, warum dir ohne die Maske die Energie & Ausdauer fehlte, dem Gewitter zu entkommen und du die Hoffnung hast, es beim nächsten Mal rechtzeitig nach Hause zu schaffen, verharmlost du die Situation und lässt dir deine Niedergeschlagenheit nicht weiter anmerken.
Doch Abends im Bett merkst du, dass dich die Situation noch immer beschäftigt, du hast Angst, beim nächsten Mal weiterhin zu langsam zu sein. Die Vorwürfe, negativen Gedanken, Sorgen, Ängste, Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit und der Selbsthass lassen dich nicht schlafen. Du wirst müder und müder, versuchst dir dennoch zu sagen, dass ein normales Gewitter kein Grund für diese negative Stimmung sei.
Du machst weiter, stehst jeden Tag auf. Du hast die Hoffnung, dass es ein Sommer ohne Regenschauer wird. Doch nach dem ersten Gewitter, kommt das Nächste. Der Abstand zwischen den einzelnen Unwettern werden kürzer und der Regenschauer von Mal zu Mal stärker. Auch nach viel Ausdauertraining und vielen Sprints, die du eingelegt hast, schaffst du es kein einziges Mal, vor dem regen zuhause anzukommen. Du gestehst dir ein, dass du Hilfe brauchst. Du suchst dir Unterschlupf bei deiner Familie und deinen Freunden. Zum ersten Mal zeigst du dich ihnen gegenüber ohne deine Maske. Sie erkennen dich nicht wieder, trauen ihren Augen nicht, wie nass deine Kleidung von dem ganzen Regen ist. Sie machen sich Sorgen und geben dir direkt neue Kleidung.
Du weißt gerade nicht so recht, was mit dir geschieht. Das Einzige was du merkst ist, dass alles, was du tust an deinen Kräften zerrt. Diese Kräfte werden von Mal zu Mal weniger.
Woher das Gewitter kommt, wann es wieder geht und warum es jedes Mal genau über dir ausbricht, kannst du weder dir noch den Anderen erklären. Du kämpfst weiter, Tag für Tag, denn langsam haben auch deine Freunde und Familie keine passenden Anziehsachen mehr für dich. Außerdem möchtest du bald auch wieder deine eigene Kleidung anziehen und deinen Mitmenschen nicht zur Last fallen.
Letztendlich brichst du in Tränen aus, welche du erst dann stoppen kannst, wenn dir auch dafür die Kraft und Energie nicht mehr ausreicht.
Doch dann kommt da diese eine Freundin - sie heißt Ana. Sie scheint zum ersten Mal eine gute Alternative zu deiner zerbrochen Maske zu sein. Sie schafft es, dich zu motivieren & lässt dich im Glauben, mit einer niedrigeren Zahl auf der Waage schneller zu werden un dem nächsten Gewitter zu entkommen. Sie verspricht dir, dass du glücklicher sein wirst und du dich immer mehr auf den richtigen weg zu dir selbst bewegst.
Ana bringt dich dazu, arbeiten zu gehen, wieder Sport zu machen, dich mit Freunden zu treffen und spazieren zu gehen. Dinge, die du ohne Ana niemals gemacht hättest, da es zu anstrengend und zu energieraubend war. Sie gibt dir das Gefühl, endlich wieder etwas geschafft zu haben, dein Leben unter Kontrolle zu haben und vor allem aber, wieder positive Momente zu erfahren, sobald du das erreichst, was dir Ana vorschreibt. Das tolle daran ist, dass du dafür weder deine Maske noch Kleidung deiner Familie oder Freunden brauchst. Somit verbringst du immer mehr Zeit mit Ana und sie wächst dir schlussendlich sehr ans Herz. Sie ist deine beste Freundin geworden. Ana hält sich vorerst immer schüchtern im Hintergrund, taut jedoch mit der Zeit immer mehr auf.
Mit ihr sind deine Depressionen wie betäubt und du entwickelst ein Gefühl von Macht über deinen Körper, welche du die letzten Jahre verloren hattest. Diese Macht macht sich durch Signale deines Körpers bemerkbar. Magenknurren, das Spüren von Knochen und Komplimente von Mitmenschen, verleihen dir ein gutes Gefühl. Ana hatte recht - “wenn die Zahl auf der Waage sinkt, geht es dir besser.”
Genau dieses Glücksgefühl, welches Ana dir versprochen hat, bemerkst du für den ersten Augenblick. Doch was du nicht sehen möchtest, dass es mit Ana auch schwierig sein kann.
In der Hoffnung, dich mithilfe deiner neuen Freundin, endlich gefunden zu haben, hattest du unrecht. Für dich scheint Ana perfekt, denn durch sie bekommst du Aufmerksamkeit & Verständnis dafür, dass du mit ihr deine Depressionen verdrängst. Es wird leichter, darüber zu reden & es gibt dir erstmals das Gefühl, dass es okay ist, wenn es dir nicht gut geht. Du musst dich auf einmal nicht mehr erklären, denn die Menschen sehen es auch so, dass es dir nicht gut geht.
Was jedoch nur die Menschen um dich herum und nicht du selbst sehen, ist, dass Ana dich komplette einnimmt. Dir ist es egal, dass Ana zuhause nicht willkommen ist, denn für dich zählt nur das Positive, was sie dir gibt.
Doch auf einmal heißt es, dass Ana dir nicht mehr gut tut, du zu viel Zeit mit ihr verbringst und alles andere verlierst, wenn du dich nicht bald von ihr verabschiedest. Nach vielen Gesprächen über Ana, siehst du es ein, dass sie dir nicht nur Positives gibt. Du entscheidest dich dazu, Abstand zu ihr zu gewinnen.
Anfangs gelingt es dir sehr gut, nicht auf Ana zu hören. Doch langsam merkst du, wie sich ohne Ana die dir unerklärliche Depression wieder bemerkbar macht. Du vermisst Ana - dennoch weißt du, dass sie zuhause nicht willkommen ist. Du hast die letzten Monate erfahren und dazugelernt, dass die Beziehung zu Ana ungesund ist und dich krank macht. Doch ohne Ana geht es dir gefühlt schlechter. Der Abschied fällt dir unfassbar schwer. Je mehr Abstand du zu Ana gewinnst, desto lauter wird die Deprepression und du bekommst ein Engegefühl in der Brust. Du hast das Gefühl, plötzlich alles zu verlieren, keine Perspektive zu haben und wieder dort zu stehen, wo du das letzte Mal standest, als du deine zerbrochene Maske wegwerfen musstest.
Nun stehst du an dem Punkt, wo du dich entscheiden musst, wie du weiterleben möchtest. Es fällt dir unfassbar schwer, weil du aufgrund der Abhängigkeiten von der Maske und Ana in den letzten Jahren, den Bezug zu dir selbst verloren hast.
(Eine metaphorische Geschichte über Depressionen und Anorexie - Miriam Meyers)